20250710_ZfK Interview_Netzstudie_Website

Bei künstlicher Intelligenz im Netzumfeld gibt es ein Henne-Ei-Problem.


Die Unternehmensberatung AXXCON hat kürzlich eine Studie mit der Überschrift „Scheitert die Energiewende an der letzten Meile?“
veröffentlicht. Ein ziemlich provokanter Titel, Zeit also für die ZfK, genauer nachzufragen, was es mit den Studienergebnissen auf sich hat. Die Energieexperten Maik Neubauer und Armin Schelian sind beide Partner bei AXXCON und für die Studie verantwortlich.

Herr Schelian, Herr Neubauer, was genau umfasst der Begriff letzte Meile? Sind die Verteilnetze im Allgemeinen gemeint, die smarte Technik? Und warum gefährdet die schleppende Transformation die Energiewende in Deutschland? Bisher ist ja noch alles gut gegangen.

Armin Schelian: Ja, mit der letzten Meile sind die Verteilnetze im Allgemeinen gemeint. Anliegen unserer Studie war, zu prüfen, inwiefern die aktuellen Verteilnetze die Anforderungen an Stabilität, Skalierbarkeit und Versorgungssicherheit auch zukünftig gewährleisten und sichern können. Die Flexibilitäten in der Erzeugung und bei den Verbrauchern – im Kontext zum Beispiel in der Wärmewende und Zunahme von E-Mobilität – stellen sehr hohe Herausforderungen dar. Die Gefahr von Black-out-Situationen im Verteilnetz ist aktuell überschaubar, die schleppend verlaufende Netzmodernisierung verhindert aber eine schnelle Integration von erneuerbaren Energiequellen, Home-Energie-Systemen und den schnellen Ausbau zum Beispiel von Ladeinfrastruktur. Dieses ist aktuell in vielen Kommunen zu beobachten.

In Ihren Ergebnissen heißt es, 44 Prozent der Netztechnologie stammen aus der Nachkriegszeit. Aus ITSicherheitsgesichtspunkten wird aber auch oft von der Trennung von OT- und IT-Technologie gesprochen und dass es gut sei, dass die Verteilnetze nicht mit dem Internet verbunden sind. Ist es daher nicht besser, wenn die Netztechnologie nicht so modern ist, weil sie dann nicht gehackt werden kann?

Maik Neubauer: Die Gefahr von Cyberangriffen auf die Verteilnetze ist zwar gegeben. Diese Netze sind aber sicherlich kein primäres Ziel von professionell geplanten Störaktivitäten. Selbstverständlich ist ein Kupfernetz aus den 50er Jahren gegen Cyberattacken nicht so anfällig wie hochmoderne, digitalisierte Verteilnetze. Ihre Lebensdauer ist aber endlich und moderne Netzinfrastrukturen, auf Basis einer intelligenten Vernetzung von OT- und IT-Architekturen, sollten das Thema Cybersicherheit und Datenschutz entsprechend berücksichtigen.

KI zur Netzsteuerung wird bislang nur von rund einem Fünftel der Unternehmen geprüft, konkrete Anwendungen sind kaum vorhanden. Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung, hat das womöglich auch mit der Versorgungssicherheit und Haftungsfragen zu tun? Und welche Anwendungsfälle mit KI würden sich anbieten?

Armin Schelian: Netzsteuerung durch intelligente Algorithmen ist die Zukunft. Die Steuerung von hochkomplexen Netzen mit vielen volatilen Einspeisungen und Abnahmen ist durch zentrale Leitwarten und Menschen mittelfristig nicht mehr realistisch. Eine hohe Versorgungssicherheit und eine intelligente Nutzung von Erzeugungskapazitäten zu prognostizierbaren Kosten kann nur mit lernenden KI-Systemen funktionieren. Aufgrund der noch sehr überschaubaren Datenlage steckt die Anwendung von KI im Netzumfeld aber noch in den Kinderschuhen. Ohne Daten keine sinnvollen KI-EInsätze. Daten können aber nur mit ausreichend digitalisierten Netzen erhoben werden. Hier gibt es also ein „Henne-Ei“-Problem.

Nur etwa ein Drittel der Netzbetreiber kann die notwendigen Investitionen aus eigenen Mitteln stemmen. Knapp die Hälfte der Unternehmen kennt den notwendigen Investitionsbedarf. Haben wir ein Finanzierungsproblem bei den Stromnetzen? Was sind hier die Konsequenzen?

Maik Neubauer: Die Stadtwerke und Verteilnetzbetreiber werden, wie durch die Studienergebnisse bestätigt, die Investitionen in die Netzmodernisierung nicht aus eigenen Rücklagen oder erwirtschafteten Ergebnissen stemmen können. Es müssen andere Wege beschritten werden, um das Ziel erreichen zu können. Die Mittelbeschaffung und der Ausbau kann im Rahmen von engen Kooperationen, über die Aufnahme von Drittmitteln, bis hin zu möglichen Fusionen etcetera ermöglicht werden.

Neben dem Netzausbau und der Digitalisierung kommen hohe Investitionen in die Wärme- und Mobilitätswende hinzu. Das Gesamtpaket wird kaum ein Stadtwerk aus eigener Kraft schultern können. Die Städte und Kommunen als Anteilseigner und Finanzierungspartner müssen rechtzeitig eingebunden werden. Finanzierungsoptionen sind integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie.

Jeder Fünfte der Befragten geht davon aus, dass sich die Netzentgelte bis 2030 mindestens um 40 Prozent erhöhen werden. Die Regierung hingegen will die Stromkosten senken. Wie passt das zusammen?

Armin Schelian: Leider passt das nicht zusammen – zumindest nicht kurzfristig. Durch den Netzausbau und die intelligente Nutzung von neuen Flexibilitäten wird es mittel- bis langfristig zur besseren Nutzung der erzeugten Kapazität aus den Erneuerbaren kommen. Vorher muss aber investiert werden – und das geht teilweise auch über höhere Netzentgelte, die einen Teil der Stromrechnung darstellen.

Erschreckendes Ergebnis: Vor allem mittelgroße Unternehmen äußern Zweifel an der Realisierbarkeit der Stromnetztransformation. Was sind die Gründe für diese Skepsis und was müsste sich ändern?

Maik Neubauer: Je größer das Verteilnetz ist, umso höher sind die zum modernen, digitalen Ausbau der Infrastruktur notwendigen Investitionen und auch Kapazitäten zur Umsetzung. Das dies in dem aktuell vorgegebenen Zeitrahmen bei größeren Netzen schwierig werden könnte, ist nachvollziehbar. Es braucht dazu realistische Zeitrahmen und auch die bereits angesprochene Finanzierung und stabile regulatorische Rahmenbedingungen, die die technischen Anforderungen oder Marktrollen nicht ständig erweitern oder anpassen.

Allgemein: Was müssen Verteilnetzbetreiber jetzt machen, damit die Energiewende im Verteilnetz gelingt?

Armin Schelian: Vor einer Umsetzung steht eine entsprechende Szenario-Planung, die sowohl die technische Auf- und Umrüstung als auch die Finanzierungsfragen beinhaltet. Der Gesetzgeber in Verbindung mit der Bundesnetzagentur muss dafür stabile rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Die Energieverbände sind in diesem Kontext auch gefordert, entsprechende Leitplanken und Investitionssicherheit einzufordern. Ohne diese Rahmenbedingungen werden wir auch keine Energiewende im Verteilnetz – also auf der letzten Meile – sehen.

Das Interview führte Stephanie Gust
ZfK, 10.07.2025